Zum Beispiel, wenn ein Angehöriger stirbt oder bei einem anderen schweren Schicksalsschlag: Wie kann ich mit einer solchen Situation, die das Leben völlig durcheinander rüttelt, umgehen?
Das ist meist ein langer Prozess. Zuerst heißt es einmal, sich zu erlauben, die verschiedensten Gefühle wie Wut, Angst oder Ohnmacht zu spüren, also „im emotionalen Schlamassel anzukommen“. In dem Maße, in dem ich ankomme, in dem was ist, kann sich auch etwas verwandeln. Ich sage gerne: „Was ist, das ist. Was ist, darf sein. Und was sein darf, kann sich verwandeln.“ Das ist ein seelisches Grundgesetz. Und das ist auch bei einem Schicksalsschlag so. Ich kann an der Situation selbst nichts ändern. Aber wenn ich das Schlamassel fühle, kann ich schauen: Wo gibt es für mich Ressourcen? Und dann scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein: Irgendwann dorthin zu gelangen, das Unabänderliche zu akzeptieren. Denn in dem Maß, in dem ich den erlittenen Verlust oder die Einschränkung anzunehmen lerne, kann ich mich wieder für andere Aspekte des Lebens öffnen. Wenn ich mich hingegen auf Dauer an etwas reibe, das ich nicht verändern kann, reibe ich mich auf und werde wund. Oft ist es ein langer Weg, bis man das Geschehene zu akzeptieren lernt. Und es ist auch nicht nur die eigene Kraft, sondern irgendwie immer auch ein Geschenk, wenn ein solches Ja in einem heranreift.
Sie schreiben von sieben Urkräften, die uns in der Not tragen und positive Energie freisetzen: Dankbarkeit, Freude, Vertrauen, Verzeihen, Zuversicht, tatkräftiges Hoffen und Innehalten. Wie kann man in Zeiten der Krise Dankbarkeit empfinden?
Natürlich kann man sich nicht über etwas freuen, das einen leidend macht, aber ich kann in schweren Zeiten ganz bewusst meine Aufmerksamkeit darauf lenken: Gibt es trotz dieser dunklen Phase heute nicht auch den ein oder anderen Lichtblick? Habe ich nicht auch etwas erlebt, wo ich sage: „Ach, das ist jetzt schön gewesen.“ Bekannt ist das Dankbarkeitstagebuch. Auch wenn einem das Leben gerade viel zumutet, kann man aufmerksam werden für das Gute, das sich im Alltag auch finden lässt. Diese wache Aufmerksamkeit hat ganz viel mit der Haltung der Dankbarkeit zu tun. Dankbarkeit meint ja nicht nur ein schönes Gefühl, sondern das zu entdecken und wertzuschätzen, was wir oft als selbstverständlich ansehen. Gerade Menschen, die durch eine schwere Krankheit gegangen sind, können davon berichten: Wenn man nach langer Zeit wieder seinen Lieblingsspaziergang machen kann oder wenn man nach einer langen Zeit der Geschmacksstörung wieder den Kaffee schmecken kann.
„So wie die Mammutbäume sich gegenseitig unterhaken,
können auch wir uns unterhaken und gemeinsam stärksten Stürmen trotzen.“
In Ihrem Buch erzählen Sie eine schöne Geschichte über die Kraft des Vertrauens.
> Die portugiesische Pianistin Maria João Pires sitzt auf einer Konzertbühne. Als sie die ersten Takte des Orchesters hört, realisiert sie: „Ich habe ein anderes Mozart-Konzert einstudiert.“ Der Dirigent macht ihr Mut: „Sie haben das Konzert doch letzte Saison noch gespielt. Ich bin mir sicher, Sie schaffen das!“ <
Die Geschichte der Pianistin ist ein wunderbares Bild für die Erfahrung, dass wir immer wieder in Situationen hineingeraten, mit denen wir nicht gerechnet haben und von denen wir nicht wissen, wie wir sie bewältigen sollen. Was für ein Segen, wenn es dann in meinem Umfeld Menschen gibt, die auf mich und meine Fähigkeiten vertrauen – so wie der Dirigent in die Fähigkeiten der Pianistin. Gerade in Krisenzeiten stärkt es, wenn Menschen ihr Vertrauen in einen setzen. Denn das festigt wiederum das Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten. Und ebenso stärkt es, wenn wir uns auf andere Menschen verlassen können. Wenn der Boden unter den Füßen wankt, geben Beziehungen Halt. Alles in allem: Vertrauen ist eine Kraft, die uns hilft, mit den Unwägbarkeiten des Lebens zurecht zu kommen. Was wir dafür tun können, ist, tragfähige Beziehungen zu pflegen.